Die A***loch-Theorie – Warum sie so oft in Führungspositionen kommen und was du gegen sie tun kannst

Im Herbst 2019 war ich TEDx-Speaker an der Uni Mannheim und stellte meine Erkenntnisse und Erfahrungen zu Arschlöchern in Führungspositionen vor (bitte entschuldige den Ausdruck und gewöhne dich schon einmal daran. Er kommt im folgenden Text noch über 60 mal vor). Das Vortragsvideo wurde auf YouTube über 600.000 mal geklickt, und aus vielen Folgevorträgen und Diskussionsrunden kann ich bis heute sagen, dass viele Menschen meine Erkenntnisse teilen.

Hier ist mein TEDx-Talk auf Deutsch:

Ich bin ein Professor, und ich unterrichte Management. Das heißt ich bringe unseren Studierenden bei, wie man andere Menschen führt. Vor einiger Zeit saß ich mit einem Kollegen beim Lunch, der an einer anderen Hochschule ebenfalls Management unterrichtet. Er kam gerade aus einer anstrengenden Telefonkonferenz mit seinen Chefs, und er fragte mich: „Philipp, ist dir eigentlich schon mal aufgefallen, dass wir in BWL immer erzählen, dass du als guter Manager empathisch sein musst, und gut kommunizieren können, und die Leute abholen… und im wahren Leben sitzen in den höchsten Positionen dann doch immer nur Arschlöcher?“ Und bevor ich widersprechen konnte, rief irgendetwas in mir: „Recht hat er!“. Ich arbeite neben der Professur als Coach, und in fast jeder meiner Kundengeschichten kommt irgendwo eine Arschlochfigur vor. Und ich würde mal tippen, dass alle hier im Raum auch mindestens eine solche Person in einer hohen Position kennen. Entweder auf ihrem Hierarchielevel, oder höher, oder vielleicht in irgendeiner Konzernholding in den USA oder China oder wo auch immer.

Seit diesem Lunch hat mich dieser Kommentar von meinem Kollegen nicht mehr losgelassen. Also begann ich über Arschlöcher zu forschen. Und ich war ziemlich erstaunt, dass sich bereits Professoren zum Beispiel aus den USA mit dem Thema Arschlöcher wissenschaftlich auseinandergesetzt haben. 

Robert Sutton, ein Management Professor in Stanford, definiert Arschlöcher als Leute, die andere Menschen unterdrücken, herabwürdigen und verletzen, und eine höhere Macht besitzen als die, die sie unterdrücken.

Aaron James ist Professor für Philosophie, und er hat noch eine andere Definition: für ihn ist ein Arschloch jemand, der sich systematisch besondere Freiheiten herausnimmt, aus einem tief verwurzelten Anspruchsdenken heraus, und immun ist gegen Einwände.

Ich möchte diese Definitionen aber noch um einen weiteren Aspekt ergänzen. 

Ich glaube, dass ein Arschloch eine Person ist, von der ich mich persönlich ungerecht behandelt fühle. Und damit meine ich, dass diese Person ihr Wohlergehen über meines stellt. Ich muss also selbst persönlich betroffen sein. Als Außenstehender würde ich nicht den Begriff Arschloch wählen, ich würde zu einem weniger emotionalen Begriff greifen.

Schwierig allerdings wird es, wenn es um konkrete Zahlen geht. Denn – nicht erstaunlich – es gibt keine Studien, die sich explizit mit Arschlöchern befassen. Aber es gibt verschiedene Begriffe in der Arbeitspsychologie, die sich mit Phänomenen befassen, die dem Verhalten eines Arschlochs sehr ähnlich sind. Ich rede von Bullying. In Studien wird beispielsweise gefragt: „Do you frequently feel unjustly criticized, hassled or shown up in front of others by co-workers?“ Wichtig in diesem Zusammenhang ist natürlich auch die zeitliche Komponente. Handelt es sich um einen einmaligen Zwischenfall, oder passiert Bullying systematisch? Das ist ja besonders relevant, um von einem echten Arschloch sprechen zu können. Daher fragen Forscher auch zum Beispiel: “And how often did it occur in the last 6 months?”

Bei meiner Recherche bin ich auf viele Studien gestoßen, die teilweise sehr, sehr unterschiedliche Ergebnisse zutage gefördert haben. Das Workplace Bullying Institute in den USA stellte in einer Auftragsstudie zum Beispiel fest, dass 19% aller US-Amerikaner Opfer von Bullying sind. Fast jeder fünfte. 61% nehmen Bullying am Arbeitsplatz wahr. Und über 60% der Täter sind nach dieser Studie die Vorgesetzten. Das sind erschreckende Zahlen. 

Dabei schwanken die Zahlen zwischen verschiedenen Studien beträchtlich. Ältere Studien aus Großbritannien berichten von gerade einmal 1,4%, im Gegensatz zu 48%, die in der Türkei gemessen wurden. Wie ich herausgefunden habe, hat dies viel mit der Methodik der Studien zu tun, denn genau so wie ein Arschloch bislang selten definiert wurde, so ist auch die Messung von Bullying nicht weltweit standardisiert. (Lange, S., Burr, H., Conway, P.M. et al. Int Arch Occup Environ Health (2019) 92: 237. https://doi.org/10.1007/s00420-018-1366-8https://www.workplacebullying.org/wbiresearch/wbi-2017-survey/)

Wenn wir über Arschlöcher als Chefs reden, kommen wir zum Begriff des Narzissmus. Die Definitionen von Sutton und James haben viel mit Verhaltenseigenschaften zu tun, die ausgeprägte Narzissten an den Tag legen, nämlich Arroganz, Selbstbezogenheit, Anspruchsdenken, Feindseligkeit, Mangel an Empathie. Jeder von uns hat narzisstische Züge, aber bei jedem unterschiedlich stark ausgeprägt. Ich habe arbeitspsychologische Studien gefunden, die davon ausgehen, dass gerade ausgeprägte Narzissten in Führungspositionen drängen. 

Menschen mit einer narzisstischen Störung suchen Aufmerksamkeit, und weil sie denken, dass sie anderen überlegen sind, haben sie das Recht, sie zu dominieren. Ich sage damit nicht, dass jeder Arschloch-Chef eine narzisstische Störung hat, aber wir alle kennen prominenten Beispiele aus Wirtschaft und Politik, von denen Psychiater genau dies sagen. 

Und ich habe noch eine erstaunliche Entdeckung während der Recherche gemacht: eins meiner Lieblings-Emojis, dieses hier ?, ist in manchen Ländern der Welt nicht das Zeichen für „exzellent“, sondern für Arschloch. In Russland beispielsweise, der Türkei, angeblich auch in Griechenland und Lateinamerika. Ich habe es gefühlt in jeder zweiten WhatsApp genutzt.

In unserem Privatleben haben wir es meist leicht ein Arschlochfreies Leben zu führen. Wir halten uns fern von ihnen. Anders ist es leider in unserem Job. Dort können wir uns unsere sozialen Beziehungen meist nicht aussuchen.

Kurze Zeit nach meiner Recherche bekam ich einen Auftrag für einen Workshop. Eine Firma wollte, dass ich mehrere Hierarchieebenen in guter Kommunikation schule. Also entschied ich mich, im Vorfeld mit jedem Teilnehmer zu telefonieren, um herauszufinden, was genau bei denen schlecht läuft. 

Ich rief zuerst bei einem Teilnehmer der untersten Hierarchiestufe an. Und was mir diese Person über ihren Chef erzählte, weckte in mir den Verdacht: dieser Chef muss ein richtiges Arschloch sein. Dieser Boss hörte nicht auf die Ratschläge seiner Mitarbeiter, fällte Entscheidungen, die genau das Gegenteil zur Meinung seiner Mitarbeiter waren, und ordnete deren Umsetzung gegen ihren Willen an. 

Kurze Zeit später telefonierte ich mit diesem Chef. Aber was der mir wiederum erzählte machte mich echt stutzig. Denn wie der sich verhielt ergab eigentlich total Sinn, auch wenn es auf seine Mitarbeiter echt schlimm wirken musste. Er bekam Vorgaben von seinem Boss, die er umsetzen musste, aber seinen Mitarbeitern fehle leider die Einsicht für das große ganze. Aber: sein Boss sei ein wirkliches Arschloch, da er ihn dazu zwingt Dinge zu tun, die er vor sich selbst nicht vertreten kann, und der seinen Willen durchdrücke, nur damit er vor dem Boss Boss besser dastehe. Den wiederum hatte ich kurze Zeit später am Telefon, und komischerweise ergab aber auch bei ihm alles Sinn, was er mir erzählte. Er erklärte mir die Konzernvorgaben, nach denen er bestimmte Entscheidungen zu fällen habe, aber leider seien viele seiner Mitarbeiter nicht willens oder in der Lage, diese Vorgaben zu verstehen. Aber: sein Chef wiederum sei ein echter Vollidiot. Wirklich ein Arschloch. Das war dummerweise mein Auftraggeber. Also die Person, die mich engagiert hatte. Als ich ihn traf, erzählte ich ihm kurz und anonymisiert von meinen Vorab-Recherchen. Er wirkte nicht wirklich überrascht, und ich lernte ihn als einen hochgebildeten Menschen kennen, der auch noch ein erstaunliches Maß an Empathie an den Tag legte. Er konnte alle meine Beobachtungen erklären. Er selbst sei Spielball seiner Shareholder. Das sei den allermeisten Mitarbeitern aber leider nicht vermittelbar, weil es auch nicht in deren Weltbild passe. Und so bliebe ihm nichts anderes übrig, als manche Sachen einfach durchdrücken zu müssen. Und die Leute eine Hierarchiestufe darunter versuchen dies dann wiederum weiter zu vermitteln, aber offenbar auch nicht sonderlich erfolgreich. Jeder drückt jedem die Vorgaben auf, die eigentlich keiner selbst nachvollziehbar findet.

Da wurde mir das ganze Drama klar: keiner hatte das ganze Bild, um die Vorgaben seiner Chefs zu verstehen. Und daher sahen sich alle dann zwangsläufig zu Unrecht übergangen und gedemütigt. 

Die meisten Führungskräfte mit denen ich spreche haben ähnliche Probleme: sie müssen strategische Entscheidungen umsetzen und an ihre Mitarbeiter delegieren, aber diese können die Entscheidung in ihrem Arbeitsalltag nicht nachvollziehen. Zum Beispiel weil ihnen die internationale Perspektive auf den Markt fehlt. Manchmal sind es aber auch Umstrukturierungen, die aber noch nicht offiziell kommuniziert werden dürfen. Fast jede Führungsperson kennt das, sie ist in einer Sandwichposition.

Das bringt mich zu einer ersten Zwischenbilanz: ein Arschloch kann auch einfach nur ein Symptom eines Systems sein, das wir aus unserer eigenen Perspektive nicht ganz verstehen. Wenn Sie also ein Arschloch als Chef haben, hinterfragen Sie einmal, ob der Chef ihres Chefs auch ein Arschloch ist. Wenn dem so ist, dann ist Ihr Chef vermutlich nur selbst ein Opfer des Systems. Und aus meiner Perspektive als Coach kann ich Ihnen nur raten: versuchen Sie die Regeln des Systems zu verstehen und danach zu handeln, oder verlassen Sie das System, wenn Sie die Regeln nicht gutheißen. Denn Sie werden das System nicht ändern. Denn es gibt immer irgendjemand über Ihnen, der dafür verantwortlich ist, dass das System nicht geändert wird.

Aber dann gibt es noch die anderen Menschen, die nicht systembedingten Arschlöcher. 

Und die sind so wie sie sind aus einem einzigen Grund: weil es durchaus funktional sein kann, sich wie ein Arschloch zu verhalten.

Das Problem mit Arschlöchern im Beruf ist nur, dass die allermeisten für das Unternehmen höchst funktional sind. Das heißt, dass deren Verhalten gut für das Unternehmen ist. Und dass der Schaden, den sie dafür mit ihren Kollegen anrichten, geringer ist als der Nutzen für die Firma. Im Gegensatz zu den meisten anderen haben die ihre persönlichen Ziele in perfekte Übereinstimmung mit den Unternehmenszielen gebracht, und handeln dann auch danach. Und echte Arschlöcher glauben – genau wie Sie und ich übrigens -, dass ihre Regeln die allein richtigen und angemessenen sind. Und sie handeln nach diesen Regeln. Denn sie denken sich, dass sich ja jeder andere auch genau so verhalten könnte, und schön blöd, wenn man sich nicht so verhält!

Häufig weiß das Unternehmen, dass jemand ein Arschloch ist. Aber es wird toleriert, weil das Unternehmen davon profitiert. Das sind erst einmal schlechte Nachrichten für Sie, wenn Sie unter so einer Person arbeiten müssen. Denn Ihrer Firma ist es egal. Solange der Schaden nicht zu groß wird. 

Jetzt liegt die Idee nahe, dass es für alle am besten wäre, wenn das Arschloch sich ändern würde. Und alle wären wieder glücklich. Da gibt es nur ein Problem. Nach meiner Erfahrung als Coach wird sich das Arschloch nicht ändern. Denn die Charakterzüge, die dieses Verhalten erzeugen, sind so tief verankert, dass Sie als Externer diese Veränderung nicht herbeiführen können. Das könnte nur das Arschloch selbst, aber das findet sein eigenes Verhalten ja total angemessen. Erinnern Sie sich an die Definition: ein solcher Mensch nimmt sich systematisch Freiheiten heraus, und zwar aus einem tief sitzenden Anspruchsdenken. Warum sollte diese Person ihre Ansprüche aufgeben? Und glauben Sie nicht, dass der Boss von dieser Person die Macht dafür hätte. Der ist vollauf mit Schadensbegrenzung beschäftigt, für Pädagogik bleibt da keine Zeit. Und ich weiß auch aus meiner Erfahrung als Coach, dass das Arschloch für den Vorgesetzten häufig unersetzbar erscheint. Denn auch das hat das Arschloch seit seiner Kindheit gelernt: sein Verhalten wird nur solange toleriert, solange es unbedingt nötig ist. 

Was also nun? Ganz einfach:

Wenn Ihr Arschloch nicht ein systemisches Arschloch ist, sondern ein echtes Arschloch, dann muss dieses Arschloch das System verlassen. Nicht Sie. Verschwenden Sie keine Zeit darauf  ein Arschloch zu ändern. Es wird sein Verhalten nicht ändern, denn es funktioniert für es ja bislang recht gut im Leben. Dieses Verhalten wird entwickelt, und die Person hat gelernt, dass es funktioniert. Da ist ganz früh in der Sozialisation etwas schiefgegangen. Die Idee, dass ein Arschloch in kurzer Zeit sein Verhalten ändert funktioniert nur in Hollywood. Nach meiner Erfahrung. 

Und auch als Vorgesetzter eines Arschlochs sollten Sie keine Energie darauf verwenden ein Arschloch zu ändern. Sie haben keinen Auftrag zu erziehen. Vergessen Sie auch Führungsseminare. Ich gebe Führungsseminare, also weiß ich wovon ich rede. Ein echtes Arschlochverhalten ist ein so tiefer Charakterzug, dass man eher über eine Langzeittherapie nachdenken müsste. Für ein Arschloch ist kein Platz in Ihrem Unternehmen. 

Aber wie werden Sie ein Arschloch los? Sie müssen es aus ihrem sozialen System, Ihrer Firma, herausdrängen. Entweder indem diese Person gefeuert wird, oder sie freiwillig geht. Und jetzt ist nicht die Zeit für Mitleid. Diese Person schadet ihrem sozialen Umfeld, hält sich für etwas Besseres und stellt ihr Verhalten nicht infrage. 

Ich erzähle Ihnen nun wie Sie vorgehen. Als erstes lernen Sie die impliziten Regeln, nach denen diese Person handelt. Finden Sie das Verhaltensmuster. Wenn, dann. Immer wenn diese Person eine Deadline reißt, beschuldigt sie die andere Abteilung. Immer wenn sie nicht sofort ihren Willen bekommt, wird sie beleidigend. Es geht darum, das Verhalten des Arschlochs zu enttarnen und zu artikulieren. Denn dann wird das schlechte Verhalten für die ganze Firma sichtbar. Im nächsten Schritt bilden Sie Koalitionen. Suchen Sie gezielt nach weiteren Opfern dieses Bosses. Je mehr Opfer Sie finden, desto größer ist offensichtlich der Schaden für die Firma. Sie müssen Beweise dafür sammeln, dass das Arschloch mehr Schaden anrichtet als es nützt. 

Suchen Sie Hilfe möglichst weit oben, denn nur dort kann die Entscheidung gefällt werden, sich von dem Arschloch zu trennen. Viele Unternehmen haben einen sogenannten Code of Conduct und Betriebsräte. Je präziser Sie das Fehlverhalten Ihres Chefs benennen können, je mehr Unterstützer Sie aufbringen können, und je unemotionaler Sie den Schuldigen benennen, desto eher wird man Ihnen Glauben schenken. Und benennen Sie ganz klar Ihre Forderung: diese Person muss weg. Mit dieser Person muss nicht geredet werden, sie muss nicht zu einem Seminar, diese Person ist charakterlich einfach nicht tragbar. Wahrscheinlich weiß das schon jeder in Ihrer Firma, aber keiner tut etwas, bis es nicht ausgesprochen wird.

Das Ergebnis wird sein, dass die Firma das Arschloch entlässt, oder dass sie das Arschloch mit diesen Vorwürfen konfrontiert. Und wenn das Arschloch enttarnt ist, wird es sich einen anderen Ort suchen, an dem es unbehelligt sein schlechtes Verhalten ausüben kann. 

Aber: das braucht Zeit. Und Sie werden viel Energie benötigen. Es wird Ihnen schon mal helfen die Verhaltensregeln erkannt zu haben, nach denen das Arschloch handelt. Wenn Sie die Regeln kennen, können Sie sich bis zu einem gewissen Grad vor dem schlechten Verhalten schützen. Ihre Koalition wird Ihnen Mut geben und Sie moralisch unterstützen. Und dann brauchen Sie nur noch Geduld.

Und sollte Ihnen mal die Geduld ausgehen, habe ich einen Tipp für Sie: wenn das nächste Mal Ihr Arschloch Chef zu Ihnen kommt und Sie bevormunden will. Lächeln Sie. Und sagen Sie: hey Chef, beim nächsten Mal mache ich es anders. Kein Problem. Und dann machen Sie dies:?